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Das Lexikon der Berner Schriftstellerinnen
und Schriftsteller

Aktuell 2017-07-08: Verleihung von sieben Literarischen Auszeichnungen und zwei Schreibstipendien

Aus literapedia bern
8. Juni 2017 – Medienmitteilung; Erziehungsdirektion

Das Amt für Kultur des Kantons Bern und die kantonale deutschsprachige Literaturkommission verleihen 2017 sechs Literaturpreise für herausragende Arbeiten. Ausgezeichnet werden Wolfram Höll, Jonas Lüscher, Luise Maier, Armin Senser, Ariane von Graffenried und Matthias Zschokke. Der Prix Trouvaille geht an Benedikt Eppenberger, Gregor Gilg und Barbara Schrag. Je ein Berner Schreibstipendium erhalten Rolf Hermann und Matto Kämpf. Die öffentliche Preisverleihung findet am 4. Juli 2017 in der Dampfzentrale in Bern statt.

Im Jahr 2016/17 hat die deutschsprachige Literaturkommission des Kantons Bern rund 85 Werke evaluiert: Buchpublikationen aller Gattungen, öffentlich aufgeführte Theaterstücke, Hörbücher und Hörspiele sowie Spoken-Word-Texte und Audio-CDs. Auf ihre Empfehlung vergibt der Kanton Bern 2017 sechs Literaturpreise, dotiert mit je 10ʼ000 Franken, und einen Prix Trouvaille in der Höhe von 3ʼ000 Franken. Die Preisträgerinnen und Preisträger werden an der öffentlichen Preisverleihung mit anschliessendem Apéro am Dienstag, 4. Juli 2017, 19.30 Uhr, Dampfzentrale Bern, gefeiert und stellen die ausgezeichneten Werke in Kurzauftritten vor.

Geehrt werden an dem Anlass zudem die Empfänger der Berner Schreibstipendien 2017, die nun bereits zum zweiten Mal ausgeschrieben und vergeben wurden: Je ein Stipendium für ihre aktuellen Projekte erhalten Rolf Hermann (20'000 Franken) und Matto Kämpf (10'000 Franken). Zudem finanziert ihnen der Kanton eine professionelle Begleitung des Schreibprozesses im Sinne eines Mentorats oder Coachings (je 4'000 Franken). Die Ausschreibung der Berner Schreibstipendien 2018 erfolgt Mitte August 2017.

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Die ausgezeichneten Autorinnen und Autoren und ihre Werke

Wolfram Hölls Stück «Drei sind wir» (Suhrkamp) beginnt mit der Geburt eines Kindes – dem die Ärzte kein Jahr geben. Doch seine Eltern wollen dieses Jahr mit ihm erleben. Das kurze Aufblühen des «Frühling» genannten Kindes wird in einer hochpräzise komponierten, lyrischen Sprache beschrieben. Die Stimmen der Sprechenden überlagern und verdichten sich zu eindrücklichen Stimmungsbildern, in denen das sich verfärbende Herbstlaub mit dem Fortschreiten der Krankheit zusammenfällt.

In Jonas Lüschers erstem Roman «Kraft» (C. H. Beck) versucht ein Tübinger Rhetorikprofessor, die Frage der Aufklärung, ob es bei so viel Leid in der Welt überhaupt einen gerechten Gott geben könne, ins Informationszeitalter des Silicon Valley zu übertragen. Zunehmend erweisen sich neoliberaler Fortschrittsoptimismus, technologische Versprechung und individueller Lebensentwurf als leeres «Geschwafel». Lüschers anspielungsreiche Gelehrtensatire besticht durch gedankliche Schärfe, demaskierende Ironie und stilistische Eleganz.

Mit ihrem Romandébut «Dass wir uns haben» (Wallstein) legt Luise Maier einen starken Text vor über eine Familie, in der ein gewalttätiger Vater und eine kranke Mutter eine Grundatmosphäre der Gefährdung schaffen und die doch für die Tochter – die aufmerksame, sensible Ich-Erzählerin – der Inbegriff bleibt von Zuhause. In beeindruckender sprachlicher Schlichtheit und formaler Schlüssigkeit schildert Maier einen prekären Alltag, einen Ausnahmezustand als Normalität und ein Aufwachsen trotz allem.

Mit «Sensus. Chronik des Scheiterns» (Edition Korrespondenzen) legt Armin Senser einen äusserst kunstvoll bearbeiteten autobiographischen Text vor. In der raffinierten Form eines sich aus zig Prosaminiaturen zusammensetzenden Selbstgesprächs, in dem das Ich auch zum Du wird, seziert der Chronist mit schonungsloser Offenheit sein Leben zwischen Biel und Berlin. Die treffsicheren Staccato-Sätze treiben die Selbstbefragung immer wieder von Neuem an und erzeugen so einen bemerkenswerten Sog.

In «Babylon Park» (Der gesunde Menschenversand) bedient sich Ariane von Graffenried mit scheinbarer Leichtigkeit des Code-Switchings und verwebt die lebhafte Sprachenvielfalt zu einem rhythmisch einheitlichen Textfluss. Dabei swingt von Graffenried elegant von Monaco in die Berner Agglo, von der Vergangenheit in die Gegenwart, vom Alltäglichen ins Fantastische und eröffnet mit Worten Orte in Orten. «Babylon Park» ist ein abwechslungsreicher, verspielter Tanz mit der Sprache, bei dem mal die Form, mal der Inhalt führt.

Matthias Zschokke zelebriert die Ereignislosigkeit. Und er tut dies auf die ihm eigene Art. Roman, der Protagonist des Romans «Die Wolken waren gross und weiss und zogen da oben hin» (Wallstein), flaniert in Berlin, schreibt E-Mails an den Freund, telefoniert mit der Mutter und weiss nicht so recht, wie er deren Wunsch, beim Sterben nachzuhelfen, erfüllen könnte. Lieber lässt er allem seinen Lauf. Ein Leben, das armselig klingt, beim Erzählen jedoch überbordet. Dieser Roman ist subtil in der Sprache, konsequent ausgearbeitet bis ins letzte Detail.

Benedikt Eppenberger, Gregor Gilg und Barbara Schrag mixen in «Golem im Emmental» (Edition Moderne) aus jüdischer Mystik, Schnee-Western und archaischer Bauernwelt einen diabolischen Cocktail der Gewalt, Liebe und falschen Frömmigkeit. Kein Wort wird zu viel gesprochen in dieser atemberaubend düsteren Graphic Novel. Die holzschnittartigen Figuren passen hervorragend zur lakonischen Sprache. Kälter als der Schnee, durch den die Helden stapfen, ist bloss noch das Gruseln, das den Lesenden den Rücken runterläuft.

(Quelle)